Verhaltensbedingte Kündigung

Das Verhalten bzw. Fehlverhalten eines Arbeitnehmers kann grundsätzlich eine Kündigung des Arbeitgebers rechtfertigen. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist nach den vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätzen immer dann sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine arbeitsvertragliche Pflicht schuldhaft verletzt (BAG,  Urteil vom 08.09.2011, 2 AZR 543/10 – Rn 16). Das kann auch die Verletzung einer Nebenpflicht sein (BAG 9. Juni 2011 – 2 AZR 284/10 – Rn. 34; BAG, Urteil vom 28. Oktober 2010 – 2 AZR 293/09 – Rn. 12). Es muss dadurch das Arbeitsverhältnis beeinträchtigt sein und ferner muss es an einer dem Arbeitgeber zumutbaren anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit fehlen (BAG,  Urteil vom 08.09.2011, 2 AZR 543/10 – Rn 16). Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss schließlich nach Abwägung der gegenseitigen Interessen billigenswert und angemessen erscheinen. Eine verhaltensbedingte Kündigung setzt demnach dreierlei voraus:

  • Kündigungsgrund (rechtswidriger und schuldhafter Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten)
  • Einschlägige Abmahnung oder es ist ausnahmsweise eine Abmahnung nicht erforderlich (Verhältnismäßigkeit)
  • Interessenabwägung

Der Kündigungsgrund bei einer Verhaltensbedingten Kündigung

(rechtswidriger und schuldhafter Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten)

Die Anzahl der in Betracht kommenden Pflichtverstöße, welche zu einer verhaltensbedingten Kündigung führen können, ist groß. Die Pflichtverstöße lassen sich grob in Schlecht- oder Fehlleistungen, Störungen im Vertrauensbereich und die Verletzung von Nebenpflichten gliedern. Beispielhaft seien Verspätungen, Arbeitsverweigerung, zu langsame oder fehlerhafte Arbeit, Beleidigungen oder Tätlichkeiten, Diebstähle und Unterschlagungen und schließlich, Verstöße gegen ein Rauch- oder Alkoholverbot oder das Verbot von privaten Telefonaten genannt.

Wann sind Pflichtverstöße rechtswidrig und schuldhaft?

Grundsätzlich obliegt es dem Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten seines Arbeitnehmers darzulegen und zu beweisen. Liegt allerdings bei objektiver Betrachtung ein Pflichtverstoß vor, so kann unterstellt werden, dass er rechtswidrig und schuldhaft begangen wurde. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, einen Rechtfertigungsgrund oder mangelndes Verschulden darzulegen. Der Arbeitgeber kann sich sodann darauf beschränken, dem Vorbringen seines Arbeitnehmers entgegenzutreten.

Ausnahmsweise kein Verschulden erforderlich

In Ausnahmefälle kann allerdings eine verhaltensbedingte Kündigung auch ohne ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt sein (LAG Kiel, Urteil vom 09.06.2011 5 Sa 509/10; BAG, Urteil vom 21.01.1999 2 AZR 665/98). Allerdings wird eine verhaltensbedingte Kündigung bei fehlendem Verschulden nur dann gerechtfertigt sein, wenn es um schwere Pflichtverstöße geht.

Bei weniger schwerwiegenden Verstößen bleibt es somit dabei: Dem  Arbeitnehmer muss sein Fehlverhalten vorwerfbar sein (BAG,  Urteil vom 03.11.2011, 2 AZR 748/10, Rn 21). An einem vorwerfbaren Fehlverhalten fehlt es beispielsweise, wenn ein Arbeitnehmer sich aufgrund einer Erkrankung nicht in der von ihm verlangten Weise verhalten kann (BAG,  Urteil vom 03.11.2011, 2 AZR 748/10, Rn 31 – Rückgabe der Dienstwagenschlüssel bei Krankheit).

Vorherige Abmahnung – ausnahmsweise keine Abmahnung

Selbst wenn ein rechtswidriger und schuldhafter Pflichtverstoß (und somit ein Kündigungsgrund) vorliegt, so kann doch eine verhaltensbedingte Kündigung immer nur das letzte Mittel sein. Bei einem erstmaligen Verstoß gegen die konkrete Pflicht kommt als milderes Mittel regelmäßig eine Abmahnung in Betracht (BAG, Urteil vom 25.10.2012, 2 AZR 495/11 Rn 16; Urteil vom 24.03.2011, 2 AZR 282/10 – Rn 14). Erst wenn ein Arbeitnehmer trotz Abmahnung dieses ganz bestimmte Fehlverhalten fortsetzt, ist eine verhaltensbedingte Kündigung das richtige Mittel.

Eine wirksame Abmahnung hat drei Voraussetzungen:

  1. Der Arbeitgeber muss das abgemahnte Verhalten so genau wie möglich beschreiben. Dazu gehört die Angabe von Datum und Uhrzeit der Pflichtwidrigkeit. Ein pauschaler Hinweis auf „häufiges Zuspätkommen“ oder „mangelhafte Arbeitsleistungen“ genügen den Anforderungen an eine Abmahnung nicht.
  2. Der Arbeitgeber muss das von ihm abgemahnte Verhalten deutlich als Vertragsverstoß rügen und den Arbeitnehmer dazu auffordern, dieses Verhalten zukünftig zu unterlassen.
  3. Der Arbeitgeber muss klar stellen, dass im Wiederholungsfalle der Inhalt oder Bestand des Arbeitverhältnisses gefährdet sei. Der Arbeitnehmer also mit  einer Kündigung rechnen muss.

Dagegen setzt eine wirksame Abmahnung nicht voraus, dass sie schriftlich erteilt worden ist. Auch nach einer mündlichen Abmahnung kann sich ein Arbeitnehmer nicht mehr darauf berufen, sein Arbeitgeber müsse sich mit einer schriftlichen Abmahnung begnügen. Selbst eine unwirksame Kündigung oder eine später zurückgenommene Kündigung kann die Funktion einer Abmahnung erfüllen und die Grundlage für eine erneute (und dann wirksame) verhaltensbedingte Kündigung schaffen (BAG,  Urteil vom 31. 08.1989, 2 AZR 13/89).

In Ausnahmefällen ist eine vorherige Abmahnung nach der Rechtsprechung entbehrlich. Das wird vornehmlich bei Pflichtverstößen im Vertrauensbereich (Diebstahl, Spesenbetrug etc. – vgl. dazu BAG, Urteil vom 16.12.2010, 2 AZR 485/08 – Rn. 26) der Fall sein. Es muss dem Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens ohne weiteres erkennbar sein. Ihm muss dabei bewusst sein, dass er „seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt„. Eine Abmahnung kann auch dann entbehrlich sein, wenn es sich dem Arbeitnehmer aufdrängen musste, dass der Arbeitgeber sein Fehlverhalten nicht hinnehmen wird (fortgesetzter und vorsätzlicher Arbeitszeitbetrug, BAG,  Urteil vom 09.06.2011, 2 AZR 381/10 – Rn 19; LAG Frankfurt, Urteil vom 05.12.2011, 7 Sa 524/11 – Rn 67 – für Verschweigen einer Verurteilung ).  Auch bei Tätlichkeiten von Arbeitskollegen untereinander wird in der Regel eine vorherige Abmahnung entbehrlich sein (BAG, Urteil vom 18.09.2008, 2 AZR 1039/06 – Rn 24). Gleiches gilt für die Misshandlung oder Entwürdigung von Schutzbefohlenen (BAG, Urteil vom 19.04.2012, 2 AZR 156/11, LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.07.2011, 26 Sa 1269/10). Ferner ist eine vorherige Abmahnung nicht  erforderlich, wenn der Arbeitnehmer ankündigt, sein pflichtwidriges Verhalten fortzusetzen oder zu wiederholen.

Hier finden Sie weitere Rechtsprechung zu Ausnahmefällen, in denen eine Abmahnung entbehrlich ist

Interessenabwägung bei einer verhaltensbedingten Kündigung

Da die Verhaltensbedingte Kündigung immer nur das allerletzte Mittel sein kann, ist vor Ausspruch einer Kündigung stets eine umfassende Interessenabwägung durchzuführen. Es sind die gegenseitigen Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers gegeneinander abzuwägen.
Rechtsprechungsbeispiele zur Interessenabwägung finden sie hier

Je nachdem um welchen Pflichtverstoß es geht, kann zum Beispiel in Einzelfällen auch eine Versetzung des Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz das geeignete und – gemessen an einer Kündigung – das mildere Mittel sein, um eine Störung des Arbeitsverhältnisses zu beseitigen (BAG, Urteil vom 06.10.2005, 2 AZR 280/04). Das kann beispielsweise dann in Betracht kommen, wenn es Streit unter Arbeitskollegen gab, nicht jedoch wenn ein Arbeitnehmer ständig zu spät zur Arbeit kommt, weil nicht zu erwarten ist, dass dieses an einem anderen Arbeitsplatz anders sein wird (vgl. BAG, Urteil vom 26.11.2009, 2 AZR 272/08 – Rn 36).

Aus Sicht des Arbeitgebers wäre zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen,  wenn er bereits lange beanstandungsfrei gearbeitet hat (vgl. BAG, Urteil vom 10.06.2010, 2 AZR 541/09 – der Fall Emmely) und der Pflichtverstoß nicht so schwerwiegend war. Zu berücksichtigen sind das Lebensalter des Arbeitnehmers, eventuelle Unterhaltspflichten oder die aktuelle Lage am Arbeitmarkt. Insbesondere kann ein eventuelles Mitverschulden den Ausschlag zugunsten des Arbeitnehmers geben.

Im Rahmen der Interessensabwägung sind schließlich die Grundsätze des AGG (Gleichbehandlungsgesetz) zu berücksichtigen. Danach kann sich der Arbeitgeber im Einzelfall nur dann auf seine berechtigten Interessen berufen, wenn er sie zum Maßstab für alle Mitarbeiter nimmt und nicht etwa bestimmte Arbeitnehmergruppen davon ausnimmt (BAG,  Urteil vom 08.09.2011, 2 AZR 543/10 – Rn 40 ff. für Wiederverheiratung eines katholischen Chefarztes).

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